Bildungschancen über Mentoring schaffen für Erstakademiker

Du studierst als erste in Deiner Familie? „Speed Up, Buddy!“ begleitet Erstakademiker vom Erstsemester bis zum Berufseinstieg. Wir schaffen fairere Bildungschancen für Dich mit unserem kostenlosen Mentoring Programm.

Wer sind Erstakademiker*innen?

Der Begriff „Erste Generation“ wurde ursprünglich primär in Zusammenhang mit Migration verwendet, um die Personen zu beschreiben, die als die erste Generation ihrer Familie in ein fremdes Land ausgewandert sind. Daran angelehnt bezeichnet der Begriff „Akademiker*innen der ersten Generation“ Personen, die einen Hochschulabschluss anstreben oder abgeschlossen haben, deren Eltern Nichtakademiker*innen sind.

Welche Herausforderungen haben Erstakademiker*innen?

Eine aktuelle OECD-Studie über Bildungsmobilität stuft Deutschland auf Platz 19 von 28 Ländern ein – ein ernüchterndes Ergebnis. Und auch die PISA-Studie 2018 zeigt: die soziale Herkunft wiegt noch schwerer als das Geschlecht – während im OECD-Schnitt die privilegiertesten 25% der Schüler*innen gegenüber den sozioökonomisch schwächsten 25% einen Leistungsvorsprung von 89 haben, sind es in Deutschland 113 Punkte. Dieser Abstand hat sich sogar gegenüber dem Jahr 2009 um 9 Punkte ausgeweitet (2009: 104 Punkte).

Als typische Hindernisse für Nichtakademikerkinder werden von der Initiative „Arbeiterkind.de“ und in einer Studie zur Bildungsgleichheit von Cara Coenen und Evamarie König (2016) folgende genannt:

  1. Mangel an Vorbildern und Vertrauenspersonen aus der eigenen Familie: Kinder und Jugendliche haben sehr limitierte Berührungspunkte mit dem Konzept eines Hochschulabschlusses während der Schulzeit und streben diesen daher nicht an. Entscheidet ein Nichtakademikerkind sich für ein Hochschulstudium, fehlt die familiäre Unterstützung beim Navigieren des Systems, z.B. Bewerbung, Einschreiben, Auswahl der Uni, Prüfungsvorbereitung etc. Nichtkademikerkinder werden darüber hinaus oftmals mit Unverständnis für die Studienwahl und negativen Reaktionen aus dem nächsten Umfeld konfrontiert, die den Studieneinstieg nochmals erschweren.
  2. Finanzierung der Studienzeit: Im nationalen Durchschnitt weisen Akademiker*innen ein höheres Einkommen auf als Nichtakademiker*innen, sodass Akademikerkinder mit höherer Wahrscheinlichkeit finanzielle Unterstützung von den Eltern erwarten können. Auch wenn in Deutschland viele verschiedene Stipendien und auch Bafög die Studierenden finanziell entlasten können, kennen Nichtakademikerkinder diese Möglichkeiten oft nicht. Die Angst vor Schulden spielt neben der Finanzierung des Studiums eine wichtige Rolle.
  3. Zugehörigkeitsgefühl: Das unbekannte Umfeld der Hochschule kann abschreckend auf manche wirken. Während Akademiker*innen ihren Kinder wahrscheinlich oft von ihrer Studienzeit erzählt haben, kann das Studienumfeld den Nichtakademikerkindern sehr fremd sein. Dieses fremde Umfeld kann oft abschreckend für Nichtakademikerkinder sein und Fremdheitserfahrungen an der Hochschule hervorrufen.
  4. Entfremdung aus dem eigenen sozialen Umfeld: Neben dem Fremdheitsgefühl an der Hochschule haben auch viele Nichtakademikerkinder mit dem eigenen sozialen Umfeld zu kämpfen. Das kann zu Problemen und Belastung führen, denn der Bezug zu beiden Milieus geht verloren.
  5. Mangel an Information und Transparenz: (Angehenden) Studierenden aus Nichtakademikerfamilien mangelt es oft an Information zu Studienrelevanten Themen, wie z.B. Stipendien und Auswahlkriterien für diese oder Möglichkeiten sich an der Hochschule als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl, WerkstudentIn oder TutorIn etwas mit einer studiennahen, besser vergüteten Tätigkeit dazuzuverdienen.

Diese genannten Hindernisse zeigen auf, dass Akademiker*innen der ersten Generation auch nach Überwindung des Studienbeginns noch mit weiteren Herausforderungen während des Studiums konfrontiert werden. Solche Herausforderungen können die Akademikerkinder wahrscheinlich durch Unterstützung in familiärer Umgebung erleichtern.

Die Statistiken ergeben, dass 74% der Akademikerkinder auch einen Hochschulabschluss anstreben, während hingegen nur 21% der Nichtakademikerkinder ein Studium im Laufe Ihres Lebens beginnen und somit Akademiker*innen der ersten Generation werden (Hochschul-Bildungsreport 2020). In einer Studie für das DZHW aus dem Jahr 2018 wird zudem veranschaulicht, wie wichtig die elterliche Bildung für den Studienzugang ist: währen Kinder, von deren Eltern zumindest einer einen Berufsabschluss haben, zu 24% ein Studium beginnen, vedoppelt sich diese Bildungsbeteiligungsquote bereits auf 48%, wenn zudem mindestens ein Elternteil Abitur hat (Kracke, Buck & Middendorff, 2018).

Betrachtet man umgekehrt die Studienabschlüsse, brechen ~30% der Nichtakademikerkinder ihr Studium ab, im Vergleich zu lediglich 15% der Akademikerkinder. Je höher die Bildungsstufe, desto weniger Nichtakademikerkinder sind dort vertreten – 10% der Akademikerkinder promovieren vs. 1% der Nichtakademikerkinder.

Bei Akademiker*innen der ersten Generation handelt es sich zudem oftmals um empfindlichere soziale Gruppen als bei Akademikerkindern: die geringerer finanzieller Unterstützung seitens der Eltern sowie der größeren Abhängigkeit von Nebenjob und Studienkredit machen Akademiker*innen krisenanfälliger. Dies wurde auch während der COVID-19 Pandemie schnell ersichtlich: in der bundesweiten Studierendenbefragung 2020 ergab sich, dass die Studienabbruchintention der Nicht-Akademikerkinder mit 9% weitaus höher ist als die der Akademikerkinder, die bei 7% liegt. Dies ist vor allem auf die Verschlechterung der eigenen Erwerbsfähigkeit (14% der Nichtakademikerkinder vs 11% der Akademikerkinder) sowie die der Eltern (35% bei Nichtakademikerkindern vs. 26% bei Akademikerkindern) zurückzuführen.

Diese Statistiken bestätigen die Tendenz zu „Vererbung“ der Bildung.

Aber auch über die Studienwahl hinaus hat der Bildungsgrad der Eltern noch Einfluss auf den beruflichen Werdegang der Kinder: Nichtakademikerkinder wählen seltener prestigeträchtige Hochschulorte (Lörz und Quast, 2011), studieren länger (Isserstedt et al., 2010) und nehmen seltener eine Auslandserfahrung in Anspruch (Heublein et al., 2019). Dies kann später den Zugang zum Wunschjob erschweren, da es vermehrt Arbeitgeber gibt, die Wert auf gerade z.B. internationale Erfahrung und Studienort legen.

Um diese Herausforderungen und Chancenungerechtigkeit für Nichtakademikerkinder gegenzusteuern, wurde Speed up, Buddy! gegründet.

Wie schafft Speed Up, Buddy! Bildungschancen für Erstakademiker*innen?

Fast alle Teammitglieder von Speed up, Buddy! sind Nichtakademikerkinder, die einen Hochschulabschluss erworben haben, daher kennen sie jene spezifische Herausforderungen.

Wir als Speed up, Buddy! möchten eine Gemeinschaft schaffen, in der „Akademiker*innen der ersten Generation“ Hilfestellung während ihres Studium bis zum Berufseinstieg bekommen können. In dem Netzwerk der Gemeinschaft soll ein Raum des Vertrauens und der Motivation entstehen, in dem alle sich untereinander frei austauschen, nach Rat fragen und persönliche Beziehungen aufbauen können. Dazu bieten wir unter anderem einen Slack-Community für alle Mentor*innen und Mentees an, wo man ganz unkompliziert mit anderen Community Mitgliedern alle Fragen stellen und Erfahrungen austauschen kann.

Die Mission von uns ist Akademiker*innen der ersten Generation während ihres Studiums bis zum Berufseinstieg durch gezieltes und personalisiertes Mentoring zu unterstützen. Mento-ring kann ab dem ersten Semester kostenlos von Akademiker*innen der ersten Generation in Anspruch genommen werden. Hierbei sehen wir kein bestimmtes vorgeschriebenes Programm für die Akademiker*innen der ersten Generation vor, sondern legt viel mehr Wert auf die individuellen, persönlichen Entwicklungen.

Wir setzen unseren Fokus auf langfristigen Support und den Aufbau eines Netzwerks für Akademiker*innen der ersten Generation. So gehört beispielsweise keine Hotline für allgemeine Fragen zum Studium zum Angebot von uns, der Mehrwert liegt viel eher auf dem Aufbau einer langfristigen Mentor-Mentee Beziehung und der Integration der einzelnen Akademiker*innen der ersten Generation in ein breites Netzwerk. Im Augenmerk steht somit nicht nur das erfolgreich abgeschlossene Studium, sondern die Schaffung von Perspektiven, das Teilen von Information und Erfahrungen und das Entgegenwirken zum Fremdheitsgefühl vieler Nichtakademikerkinder an den Hochschulen.

Im Juni 2021 können wir bereits die ersten Erfolge der Gemeinschaft vorweisen: 300+ registrierte Mentor*innen aus Deutschland, Österreich und Schweiz, 200+ aktuelle Mentorings und 30+ ehrenamtliche Mitarbeiter.

In der Zukunft planen wir die Entwicklung zur Erstanlaufstelle im DACH-Raum für Mentoring für erste Generation Akademiker*innen zu sein. Das persönliche Mentoring bleibt weiterhin eine Kernkompetenz von uns, die kostenlos Akademiker*innen erster Generation angeboten wird. Das Netzwerk soll auf politische Institutionen und andere komplementäre Sozialinitiativen erweitert werden.

Für 2030 haben wir uns die Mission definiert: „Wir bestärken (angehende) Studierende aus Familien ohne Hochschulerfahrung durch verschiedene Mentoringformate und ein starkes Netzwerk, ihr persönliches Potenzial zu entfalten.“

Wer kann Mentor*in werden?

Alle berufstätige Menschen, die sich für Chancengleichheit einsetzen wollen und/oder Akademiker*innen der ersten Generation fördern wollen, können Mentor*innen werden, unabhängig vom fachlichen Hintergrund und Arbeitsumfeld. Wichtig ist, dass die Mentor*innen eine persönliche Beziehung zu ihren Mentees aufbauen wollen und ihren Mentees bei Fragen und Sorgen unterstützen wollen. Sich in der Speed up, Buddy! Gemeinschaft zu engagieren ist Voraussetzung sowohl für Mentor*innen als auch für Mentees.

Wer kann sich als Mentee bewerben?

Alle im Studium angekommene Studierende, die aus einem Nichtakademiker*innen-Haushalt kommen, können sich bei Speed up, Buddy! bewerben, um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Der Bewerbungsprozess beabsichtigt keine Selektion der Kandidaten an-hand schulischer oder akademischer Leistungen, sondern stellt sicher, dass motivierte Mentee-Kandidaten das Konzept und die Vorteile der Gemeinschaft verstehen und leben wollen.

Wie läuft das Mentoringprozess ab?

Schritt 1 „Wir lernen Euch kennen“: Für die Mentees (Buddy): Es findet im Bewerbungsprozess ein erstes Kennenlernen zwischen Kandidaten und Speed up, Buddy! via Video-Call statt, damit beide Seiten ihre Erwartungen transparent kommunizieren und die Chance einer langfristigen harmonischen Kooperation geprüft werden kann.

Für die Mentor*innen: nach einer erfolgreichen Registrierung von Mentor*innen bekommen die aufgenommenen Mentor*innen Informationen und Unterlagen als Onboarding. Mentor*innen werden Informationen zu den Mentoring Grundsätzen sowie Vorschläge für einen potentiellen Mentee (Buddy) erhalten. Einmal im Jahr werden alle Mentor*innen zu einem großen Mentoren-Event eingeladen, um Erfahrungswerte auszutauschen und sich mit anderen Mentor*innen zu vernetzen.

Schritt 2 „Buddymatch“: Zunächst werden Mentee und Mentor*innen miteinander gematched. Der Matching-Prozess hat das Ziel, für jede/n Mentee die/den geeignetsten Mentor*in zu finden und sie zusammen zu bringen. Insbesondere folgende Aspekte werden in Betracht gezogen bei der Auswahl der/des Mentorin/Mentors:

  • Fachliche Überlappung zwischen Mentee und Mentor*in
  • Ziele und Erwartung der/des Mentee
  • Kapazität der/des Mentors/Mentorin
  • Präferenzen der Mentees und Mentor*innen

Wurde der/dem Mentee eine Mentor*in zugeteilt, beginnt die Phase des 1 zu 1 Mentoring mit einem Kick-off Meting.

Schritt 3 „1-zu-1 Mentoring“: Das Mentoring wird individuell je nach Bedürfnissen der/des Mentee/s gestaltet werden, d.h. die Frequenz des Austauschs und auch die besprochenen Inhalte unterscheiden sich von Mentee zu Mentee. Jedes Match vereinbart individuell Themenschwerpunkte, regelmäßige Treffen, optionale Feierabendgetränke usw.

Beispiele für Mentoring mit Speed Up, Buddy! 

Meet fellow buddies – mit den folgenden Erfahrungsberichte lernen Sie unsere Mentees und unser Mentoringprogramm besser kennen.

Hinter den Kulissen: Ein Interview mit Mentee Daniel Krämer

Als Arbeiterkind und Erstakademiker fehlt Daniel trotz der Unterstützung von deren Eltern die erfahrungenderen und weisenderen Ratschlägen bzgl. seines Studium und Karriere. Er hat das Mentoring Programm viel weiter geholfen.

„Aus meiner Sicht ist der größte Mehrwert die starke, hilfsbereite Community von Speed up, Buddy!. Ich durfte durch die Community bereits viele nette Menschen kennenlernen, die meine persönliche Weiterentwicklung fördern und mich durch die vielen unterschiedlichen Denkweisen anregen über meine Entscheidungen in unterschiedlichster Weise nachzudenken.“

Schaffe ich es, ein Teil der akademischen Blase zu werden?

Nach dem Abitur fühlte Anna sich ins kalte Wasser geworfen. Ihr fehlt das Netzwerk. Nach der Teilnahme von Speed Up, Buddy! ist sie sehr begeistert von der Unterstützung von der ganzen unterstützende Community und alle Mentoren.

Alle Mentoren steckten mal in den gleichen Schuhen wie man selbst, sodass ich dadurch erstens gelernt habe, dass diese eigentliche Blase auch nur menschlich ist und zweitens es mehr Parallelen mit meinem Leben gibt, als ich erwartet hätte.“

Gleich hier kannst du dich einfach und unkompliziert online bewerben. Wir freuen uns auf dich!

[1] Nichtakademiker*innen = hat keinen Hochschulabschluss

Dieser Artikel wurde von Xuefei Yang, Marie Uncovska und Qian Wan im Rahmen ihrer freiwilligen Mitarbeit bei Speed Up, Buddy! verfasst.

Quellen: