Die Zahlen sind erschreckend: Von 100 Kindern aus Arbeiterfamilien schaffen es nur 15 bis zum Bachelorabschluss. Hat mindestens ein Elternteil studiert, steigt die Zahl auf 63. Ähnlich sieht es bei den Abiturienten aus: Nicht einmal jedes zweite Arbeiterkind geht an die Hochschule, bei Akademikerkindern mit Hochschulreife sind es 95%. Geht es hierbei um die Finanzierung des Studiums? Ich meine Nein!
Ich komme aus einem kleinen Dorf auf dem Land in der Nähe von Bielefeld. In meiner Familie hat niemand studiert. Es hat auch vor mir niemand Abitur gemacht und Geld war sowieso immer mehr als knapp.
Meine Oma meinte immer, ein Studium sei etwas für Lehrer- oder Anwaltskinder, aber nichts für so einfache Leute wie uns. Allein dass ich auf ein Gymnasium ginge, sei genug.
Eine Ausbildung könnte ich ja schließlich auch schon nach der 10. Klasse beginnen. Zufällig habe ich zu dieser Zeit von einer Freundin erfahren, dass es dieses „Bafög“ gibt, das diejenigen das Studium finanziert, deren Eltern es sich finanziell nicht leisten können. Obwohl die Bafög-Regeln eine Welt für sich waren, wurde mir relativ schnell klar, dass dadurch die Grundausgaben meines Studiums gedeckt werden können. Mit einem Nebenjob sollte es also nicht an der Finanzierung scheitern.
Mit dieser Sicherheit im Hintergrund begann ich dann ohne großes Nachdenken ein Studium in Köln – Kölsch und Karneval hatten mir zugesagt. Mir war nicht bewusst, dass es Unterschiede zwischen den Unis gab, BWL an der Uni Köln eher ein Zufall als eine bewusste Wahl. Schon früh merkte ich, dass plötzlich ein Großteil meiner Familie wenig Interesse an meinem neuen Leben hatte.
Mein gesamter Freundeskreis war fertig mit der Ausbildung und verdiente „gutes Geld“, keiner „mittelloser Student“. Auch meine Eltern konnten mit meinem neuen Lebensinhalt von ECTS, Modulen und Kommilitonen nichts anfangen.
Das änderte sich auch nicht in den folgenden Semestern – die Fragestellungen wurden durchaus komplexer: Macht ein Praktikum Sinn? Mama: „Generation Praktikum sag ich dazu nur. Was hast Du denn überhaupt davon? Such Dir einfach einen richtigen Job!“ Soll ich ins Ausland gehen? Papa: „Das kostet doch Unsummen! Wer soll das bezahlen?“ Spätestens ab dem 5. Semester kam dann die Frage nach dem Masterstudium dazu. Ähnliche Antworten folgten. Mein Umfeld konnte mir nicht sagen, ob es sich lohnt, 5 Jahre zu studieren. Klar gibt es Durchschnittswerte, die belegen, dass man nach einem Studium mehr verdient. Aber von Durchschnitten hat man am Ende wenig, wenn man kein „Vitamin B“ hat wie meine Familie es nannte. Ich als einfaches Arbeiterkind würde dort eh nicht mitspielen können. In der Welt der Wirtschaft.
Mir war damals, im ersten Semester, überhaupt nicht klar, wie entscheidend diese ersten Tage für meinen persönlichen „Bildungsaufstieg“ waren. Denn die Jungs, die ich dort kennen gelernt habe, haben in den nächsten 5 Jahren genau das ersetzt, was meine Familie mir nicht geben konnte. Diese Jungs kamen nämlich aus genau den Akademikerhaushalten und hatten Eltern bzw. ältere Geschwister, die wussten, worauf es im Uni-Alltag ankommt. „Gute Noten in den ersten zwei Semestern brauchst Du, damit Du über die Uni ins Ausland gehen kannst!“ „Ohne Auslandssemester wird es später schwierig mit den guten Praktikaplätzen“ „Für den Masterplatz an Uni X in Land Y brauchst Du einen Schnitt von mindestens 2,0!“ „Für einen Festeinstieg bei Firma Z wäre ein Praktikum bei Firma A und B hilfreich“. Klingt ziemlich durchorganisiert aber jeder Hinweis sollte sich als richtig herausstellen.
Nach insgesamt 6 Jahren Studium und Praktika in verschiedenen Städten und Ländern arbeite ich nun in München bei einer renommierten Unternehmensberatung. Lief also alles im Nachhinein verdammt gut bei mir!
Ich bin sehr dankbar, dass ich so ein tolles Netzwerk durch Zufall gefunden habe, gleichzeitig ist mir aber auch bewusst geworden, dass nicht jeder zufällig im ersten Semester Freunde findet, die bei Fragen zu Auslandssemester, Praktika und Noten gut beraten können.
Daher soll speedupbuddy.de als Plattform von Arbeiterkindern aktuell studierende Arbeiterkinder durch persönliches Mentoring unterstützen. Wir kennen die Fragen und Herausforderungen und vor allem auch die Situation, die vielleicht nicht alle Kommilitonen verstehen.
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