„Mehr als Hauptschule wird es bei dir nicht werden, Senik“

Das sagte mein damaliger Lehrer zu mir, als ich verstehen wollte, wie ich von der Hauptschule auf das Gymnasium wechseln konnte. Seine Worte waren nicht gerade aufbauend oder inspirierend – nicht wahr?

Willkommen auf der Hauptschule – in einem Anzug

Mit zwölf Jahren bin ich mit meinen Eltern aus der Ukraine nach Deutschland gezogen. Wegen mangelnder Deutschkenntnisse wurde ich zwei Klassenstufen zurückgestuft und wurde der Hauptschule zugewiesen.

Meine Mutter hat mich gebeten, zum ersten Schultag einen Anzug anzuziehen. “Der Lehrer wird stolz auf dich sein“, sagte sie. Ich versuchte ihr zu erklären, dass wir jetzt in Europa leben und die Kids Jeans mit Sneakers tragen und keinen Anzug. Enttäuschen konnte ich sie natürlich nicht und da stand ich nun auf dem Hauptschulgelände – in einem Anzug. Nach einer Weile ist eine Gruppe Jugendlicher auf mich zugekommen und haben mich angesprochen. Ich habe natürlich kein Wort verstanden und konnte auch nicht antworten. Sie haben mein Schweigen als Arroganz interpretiert – und zudem noch der Anzug? Es kam zu einer Schlägerei.

Meine erste Unterrichtsstunde in Deutschland werde ich nie vergessen – es war Englisch Unterricht. Die Lehrerin hat meinen Namen aufgerufen und hat auf Deutsch, englische Vokabeln abgefragt. Der deutschen UND der englischen Sprache nicht mächtig, wurde mir in dem Moment klar, dass es für mich nicht einfach wird.

Bereits nach zwei Jahren konnte ich die Deutschkenntnisse soweit verbessern, dass ein eigenständiges Lernen anderer Fächer möglich war. Mit dem Zeichentrickfilm Aladdin habe ich Deutsch gelernt. Ich kannte jede Folge auf Russisch auswendig und konnte so die deutsche Version besser verstehen. Dennoch bin ich in der achten Klasse beinahe sitzengeblieben. Es fehlte die Perspektive. Das Umfeld hat leider auch nicht dazu beigetragen, einen Fokus auf die Schulbildung zu setzen. Freunde haben im Deutschunterricht geübt, Hartz IV Formulare auszufüllen, als wäre man nur dafür prädestiniert gewesen.

Der Sprung aufs Gymnasium

Mir wurde bewusst, dass ich da raus muss und meine einzige Möglichkeit war es, Gas zu geben. Das bedeutete nicht nur sich hinsetzen und eigenständig lernen, sondern auch einige Freundschaften beenden und seinem Ziel treu bleiben. Ich habe die zehnte Klasse als Jahrgangsbester abgeschlossen und eine Empfehlung erhalten auf das Gymnasium zu gehen. Ich konnte es kaum fassen, endlich dieses Empfehlungsschreiben in meinen Händen zu halten.

Mein Direktor hat mir das CJD, ein staatlich anerkanntes privates Gymnasium empfohlen. „Die lassen einen nicht im Stich“, hat er gesagt. Heute lese ich auf der Webseite den Slogan „Das CJD – die Chancengeber“ und kann das mit einem Lächeln im Gesicht bestätigen.

Der Sprung von der Hauptschule auf das Gymnasium, in der 11. Klasse, war enorm! Man muss sich vorstellen, dass ich bis zur 10. Klasse Diktate im Deutschunterricht geschrieben habe und von einer Gedichtsanalyse oder dem Wort „Interpretation“ noch nie etwas gehört – geschweige denn jemals ein Buch gelesen habe.

Die Herausforderung, auf das Leistungsniveau des Gymnasiums zu kommen, war das eine, die Akzeptanz im neuen Sozialen Umfeld, eine andere. Neben einem Kanadier mit asiatischen Wurzeln war ich der einzige Migrant auf dem Gymnasium. Auf der Hauptschule waren die deutschen Kinder die Minderheit. 

In der 11. Klasse habe ich mich gefragt, ob ich es wirklich schaffe Abitur zu machen – oder ob ich an meine Grenze gekommen bin. In der 12. Klasse habe ich mich nur noch gefragt wie gut mein Notenschnitt sein wird, damit ich eine möglichst breite Auswahl an Studienrichtungen habe. 

Den NC für BWL habe ich geknackt und konnte mich zwischen dem Lehramtsstudium und dem BWL Studium entscheiden. Ich wollte eigentlich Hauptschullehrer werden, weil ich die Schüler und Schülerinnen dort verstehe und diese unterstützen wollte. Ich wusste, dass der Lehrer die motivierende Kraft sein kann und ich mich als einen Lehrer gesehen habe, der den Schülern ihre Möglichkeiten aufzeigt, statt  ihre Grenzen. Sie haben alle großes Potenzial, doch leider kommen die Meisten aus einer Familie, wo die Bildung keine oder nur eine geringe Rolle spielt.

Das Studium – ich hätte mir einen Mentor gewünscht

Ich habe mich für das BWL Studium entschieden, weil ich das Gefühl hatte, man kann in der freien Wirtschaft mehr verdienen und mit Geld in dieser Welt mehr bewegen. Die Frage der Studienfinanzierung hat sich sofort gestellt, denn mit finanzieller Unterstützung von zu Hause konnte ich nicht rechnen und musste es selbst in die Hand nehmen.

Neben BAföG, Studienkredit und Jobben gab es noch die Möglichkeit, sich auf ein Stipendium zu bewerben. Nachdem ich die Voraussetzungen zum Stipendium der verschiedenen Stiftungen durchgelesen hatte, war ich mehr eingeschüchtert als motiviert, sich für ein Stipendium zu bewerben. Ich habe mich für BAföG + jobben + ein Zimmer im Studentenwohnheim entschieden, um sowohl die Einnahmen als auch die Ausgaben zu optimieren.

Im Bachelor Studium mussten wir Schwerpunktfächer wählen und uns für ein Praktikum oder Auslandssemester entscheiden. Einen Rat oder Austausch mit einer Person zu den Entscheidungen hat mir gefehlt. Die Ängste und Sorgen, um die hohen Kosten und damit einer Verschuldung durch das Auslandssemester, waren jedoch da. Zahlt sich das denn überhaupt aus?

Mich hat auch die Herausforderung gereizt, im Ausland zu studieren – am besten in einem Land, wo Englisch gesprochen wird. Denn durch den starken Fokus auf das Erlangen der Deutschkenntnisse in der Schulzeit war mein Englisch sehr schlecht. Ich habe einen Platz an einer Partner-Uni in Kalifornien erhalten. Ich dachte mir, wenn ich jetzt die Möglichkeit nicht ergreife, dann werde ich nie richtig Englisch sprechen. Gesagt, getan.

Die Finanzierung des Auslandssemesters war für mich eine größere Herausforderung, als die neue Sprachbarriere. Ich habe früh im Studium angefangen, Geld zur Seite zu legen, doch für den Flug, die Studiengebühren, die Miete und den Lebensunterhalt war es einfach nicht genug. Das Auslands-BAföG und ein Bildungskredit der KfW haben stark zur Finanzierung beigetragen. Zusätzlich habe ich mich notgedrungen getraut, für ein Stipendium beim DAAD zu bewerben und voilà, es hat funktioniert. Das war der Moment, wo ich es verstanden habe, dass alles möglich ist – man muss sich nur trauen!

Mit den Nebenjobs als Kellner, Call-Center Agent, Kurier oder die Tätigkeit im Einzelhandel konnte ich zwar Geld verdienen, aber meinem Lebenslauf im Rahmen des Studiums hat es nicht wirklich geholfen. Wenn man sich für ein Praktikum bewirbt, wäre es von Vorteil, vorher praxisrelevante Erfahrung gesammelt zu haben. Daher musste die Entscheidung getroffen werden, die Nebentätigkeiten zu reduzieren – Nebentätigkeiten, die gutes Geld gebracht haben und stattdessen sich an der Uni für Praxisprojekte mit Unternehmen und einer Werkstudententätigkeit zu bewerben.

Die Bewerbung um einen Praktikumsplatz ist dadurch etwas leichter gefallen, denn nun hatte man etwas vorzuweisen und konnte im Bewerbungsgespräch über seine Erfahrungen sprechen. Des Weiteren erhält man die ersten Eindrücke von verschiedenen Funktionen im Unternehmen und lernt wie man sich auf professioneller Ebene verhalten und kommunizieren kann.

Master Studium oder Berufseinstieg? – es gibt kein richtig oder falsch

Nach dem Bachelor hat sich die Frage gestellt – Master Studium oder Berufseinstieg?

Bringt der Master wirklich etwas? Oder gleich sofort Geld verdienen? Hat man später in seiner Karriere Nachteile, wenn man keinen Masterabschluss hat? Wie finanziere ich das bitte?

Es gibt kein richtig oder falsch. Ich habe mich für den Master entschieden. Durch das Auslandssemester in Kalifornien und die internationale Erfahrung war mir wichtig, dass das Master Studium ebenfalls international ist und möglichst eine Station im Ausland beinhaltet. Ich habe das perfekte Master Programm gefunden, mit der Möglichkeit den Master in zwei verschiedenen Ländern zu absolvieren. Jedoch lagen die Studiengebühren bei 17.000 EUR.

Ich wollte nicht, dass meine finanzielle Lage über meine Zukunft entscheidet. Daher habe ich den Mut gefasst und mich für das Programm trotzdem beworben. Im Falle einer Zusage wäre ich bereit gewesen, einen Kredit aufzunehmen.

Meine Mutter und Bekannte haben sich große Sorgen gemacht, denn ich habe bisher viel Geld in die Hand nehmen müssen und hatte vor, noch mehr für den Master draufzulegen. Andere Bekannte haben mich belächelt, denn sie haben seit der Hauptschule bereits Geld verdient und sind mit schicken Autos durch die Gegend gefahren. Manche Eltern im Umfeld kannten den Unterschied zwischen Schule und Uni nicht und dachten, ich würde seit Jahren einfach weiterhin zur Schule gehen und mein Leben nicht im Griff haben.

Da zusätzlich zu den Studiengebühren die Lebenshaltungskosten der Auslandsaufenthalte recht hoch sind, musste ich ein Jahr lang zwischen Bachelor und Master arbeiten, um Geld zu sparen. Mit einem Bachelor Abschluss bin ich zurück in den Einzelhandel gekehrt, da diese Stelle mir flexible Arbeitszeiten geboten hat, sodass ich nebenbei „Studis helfen Kids“ in Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz gründen konnte. Eine Initiative, die Flüchtlingskinder bei der Migrationshilfe unterstützt. Studenten haben auf ehrenamtlicher Basis den Kindern Deutsch beigebracht, um eigenständiges Lernen zu ermöglichen und sie bei ihren Hausaufgaben betreut. Im Gegenzug haben die Studenten neben der Erfahrung ein Zertifikat erhalten, dass ihnen bei Bewerbungen für Praktika und Stipendien geholfen hat. In den neugierigen Kindern habe ich mich gesehen und wusste ganz genau wie sie sich fühlen. In den Unterrichtsstunden musste man eher das Selbstbewusstsein der Kinder aufbauen, statt Deutsch zu lernen, denn es hieß oft “ich bin Hauptschule, ich bin schlecht”.

Die Liessem-Stiftung ist durch „Studis helfen Kids“ auf mich aufmerksam geworden, die diese Initiative toll fand. Sie haben mir angeboten die kompletten Studiengebühren für mein Master Studium zu übernehmen. Ich konnte es kaum fassen und hatte das Gefühl, das Leben ist auf meiner Seite.

Wenn ich an meinen ersten Schultag auf der Hauptschule zurückdenke, da hatte ich definitiv nicht das Gefühl, dass das Leben auf meiner Seite ist – aber wir haben es selbst in der Hand!

Berufseinstieg in der Beratung, Industrie oder doch die Selbstständigkeit? 

Nach dem Master war ich bei McKinsey tätig und konnte in kürzester Zeit sehr viel lernen und von der guten Ausbildung profitieren. Da der Mensch bei mir an oberste Stelle steht, wurde ich von Procter&Gamble überzeugt. Ein Unternehmen, welches meine persönlichen Werte nicht nur teilt, sondern diese jeden Tag vorlebt. Aktuell verantworte ich das Fabric Care Geschäft in der Schweiz – ohne Sprachbarrieren und mit viel Selbstbewusstsein.

Der Wunsch und die Neugierde zur Selbstständigkeit ist nach wie vor da. Durch die Gründung von Studis helfen Kids und Speed Up Buddy, habe ich die Möglichkeit, neben meinem Vollzeitjob, mich als Social-Entrepreneur auszuleben und dabei Gutes zu bewirken.

Welcher Faktor ist für den Erfolg verantwortlich?

Rückblickend kann ich sagen, dass ich all das erreicht habe, weil ich auf dem Weg wichtige Menschen hatte, die mich auf meiner Reise unterstützt haben. Talent alleine, ohne Ehrgeiz und Durchhaltevermögen, bringt meiner Meinung nach leider wenig. 

Aus mir ist kein Hauptschullehrer geworden, jedoch möchte ich im Rahmen eines Mentorings eine Unterstützung mit Speed Up Buddy an Schüler und Studenten anbieten und Dir auf Deinen Weg zur Seite stehen. So wie ich im Studium Fragen hatte, oder manche Fragen mir leider erst gar nicht gestellt habe, möchte ich Dir helfen die richtigen Fragen zu stellen und eine Antwort dafür zu finden.

Bewirb Dich gerne als mein Mentee!

 

 

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